Nachdem wir ja doch noch einige Kilometer rausfahren konnten, war das Programm für den Gipfelsturmtag klar: alles gaaanz locker und gemütlich angehen. Für 85 km hatten wir uns locker fünf Stunden vorgenommen. Am Morgen lernten wir noch den aufbrechenden Dietmar aus Österreich kennen. Um 10:00 Uhr ging es dann los. Hatte schon etwas gedauert, denn Didi erzählte einiges von seinem Trip zum Kapp am Vortag und als Cannondale-Experte hatte er in mir auch einen ergiebigen Gesprächspartner.

So rollten wir unsere ersten 30 km dahin. Immer wärmer werdend mit einer gewissen Reserviertheit ob des fast sieben Kilometer langen Nordkapptunnels.

Der hat nämlich einen ziemlich fiesen Ruf. Nach Einfahrt geht es nämlich erstmal drei Kilometer steil bergab, bis man auf 212 m unter dem Polarmeer einige hundert Meter waagrecht nach Norden fährt, um dann wieder drei Kilometer sehr steil nach oben zu klettern. Mit dem Rad ist man da einige Zeit unterwegs. Dabei hat man gleichzeitig mit Kälte und Schwitzen zu tun, ebenso dem Krach der fahrenden Autos und Lkw. Und wir hatten keine Ahnung, wie genau sich das vor Ort darstellen würde.
Als wir dann am Tunneleingang ankamen, sahen wir noch ein Wandererpärchen, das ebenfalls hindurch wollte – zu Fuß. Da sahen wir, wie gut wir es hatten und bereiteten unsere Bikes in aller Ruhe für die Durchfahrt vor.

Wie beschrieben ging es erstmal mächtig bergab. Das bescherte uns Spitzengeschwindigkeiten von 60 km/h, die uns aber auch an die Bibbergrenze führten.
Unten angekommen erleichterten wir uns um etwas Kleidung, um im Kletterabschnitt des Tunnels nicht zu sehr ins Schwitzen zu geraten. Sinnlos, denn der Aufstieg war wirklich steil. Wir hatten insgesamt Glück, denn es kamen nur sehr wenige Autos, die allesamt sehr ruhig und langsam gefahren sind.

Damit waren wir zwar locker durch den Tunnel gekommen, jedoch auch erleichtert, denn etwas Stress beschert so eine Fahrt schon. Besonders, wenn man sich klarmacht, gerade 200 m unter dem Meer zu sein und überall Wasser eindringen sieht und Getropfe hört. So war es toll, endlich auf der anderen Seite zu sein, wo das Wetter gleich etwas durchwachsener ausschaute. Nach einem Apfel ging es weiter.

Unser erster Stopp nach dem Tunnel war im 15 km entfernten Honningsvåg, das einen Schiffsanleger besitzt. Dort wollten wir herausfinden, ob es am Folgetag eine Fährmöglichkeit nach Havøysund gibt. Die war noch eine Option, die wir nach dem Nordkapp erkunden wollten. Und mit der Fähre würden wir eine der schönsten Küstenrouten Norwegens von Nord nach Süd fahren können. Mit richtig viel Zeit zum Erkunden und Entdecken.

Der Weg dorthin war schon etwas mit kurzen Schauern gespickt, die wir aber hinnahmen – trotz guter Wetterprognose muss man das spätestens am Nordkapp als Unplanbarkeit hinnehmen. Dummerweise mussten wir auf die Dame am Schiffsticketschalter pausenbedingt warten. Daher kühlten wir aus und besonders ich brauchte trockene Klamotten und hatte auch noch Lust auf einen ersten Cappuccino. Nachdem es uns dann tatsächlich gelang, zwei Fähr-Tickets zu ergattern, suchten wir ein Café auf. Und dieses hatte es in sich.

Robert nahm noch als Ergänzung unseres Frühstücks Sandwiches, während ich mich mit einem Stück Himbeerkuchen zufrieden gab. (Ich aß aber bei Robert Pommes mit, da ich etwas frustriert war über das Ergebnis meiner Unterkunftssuche. Aufgrund einer Fehlfunktion bei Booking.com kam es zur Buchung von zwei Campinghütten, anstatt einer. Und das musste jetzt noch schnell gelöst werden.)
Der einzig echte original „Nordkapp Camping“ (der Manager legte großen Wert auf diese Tatsache) lag glücklicherweise direkt auf dem Weg, weswegen wir das Problem direkt vor Ort klären wollten. Außerdem konnten wir so direkt den Schlüssel empfangen (=einchecken) und damit unabhängig von deren Betriebszeiten so lange am Kapp bleiben, wie wir wollten. Und das war auch gut, denn kurz vor Abfahrt entdeckte Robert bei der Lokalwettervorhersage, dass ab 17:00 Uhr ein Aufklaren am Nordkapp vorhergesagt war. Für den ganzen Abend. So viel Glück kann man nicht haben, dachten wir. Umso mehr machte es uns nervös, dass die Regulierung der Buchung über 30 Minuten in Anspruch nahm. Aber schließlich gelang es und wir waren auf dem Weg.

Wir waren erstaunt, wie schön die von allen als karge Landschaft beschriebene Norkapp-Insel doch war. Das abwechslungsreiche Spiel von Hügeln, See, Wasserfällen und vor allem Rentieren war einfach beeindruckend. Und aufgrund der Tatsache, dass Saisonende war, hatten wir sehr wenig Verkehr.

Damit war die letzte Etappe ziemlich ruhig. Aber nicht weniger fordernd. Die Anstiege hatten es in sich. Entweder saulang oder einfach knackig steil. Die letzten Kilometer zählten einfach nur sehr zäh nach unten. Hinter jedem Hügel, der den Blick auf den Globus freigeben sollte, war ein weiterer. Und immerhin sah man das Ziel bereits aus über 20 km Entfernung.

Als wir dann endlich unsere letzte Höhe nahmen, entdeckten wir die leistungsfähige Touristen-Plattform, die dort aufgebaut worden war. Riesige Parkplätze, ein großes Museum und natürlich ein enormer Gastronomiebetrieb. Wie wir erfuhren, werden dort ganze Ozean-Liner versorgt, von denen dann schon mal 3.000 Menschen von Bord gehen für ihr Nordkapp-Foto. Aber wie gesagt, es war ja Saisonende. Daher waren wir fast allein.

Wir radelten gleich um das Museum herum und ganz nach vorn zum Globus, wo wir ausgiebig posierten und Bilder schießen ließen. Es waren relativ viele deutsche Radler und Abenteurer da, da wir insbesondere im Süden Deutschlands noch Ferien haben und Norwegen offenbar ein beliebtes Ziel ist. Wir hatten dermaßen Glück, denn wie viele sagten, wäre das der Tag des Jahres gewesen. Sonne pur! Besser hätte es nicht laufen können.

Wir waren total glücklich, dass wir unsere Reise nach 20 Tagen nun zu einem solch grandiosen Finale bringen konnten. Höchst dankbar und breit grinsend gingen wir aufs Museum zu und wollten uns um unseren Hunger kümmern. Denn die Aufregung und Vorfreude hat zusätzlich für Appetit gesorgt.

Radfahrer jedenfalls werden am Nordkapp hervorragend behandelt. Zunächst hatten wir keine Eintrittskosten. Wir wurden persönlich an der Tür abgeholt und bekamen eigene Parkplätze direkt am Haus. So begaben wir uns gleich in die Garderobe und legten trockene Kleidung an, ehe wir in unser „4-Gänge-Wiederherstellungs-Menü“ einstiegen. Vom Gebäck über den sauleckeren Hot-Dog, Sandwiches, Salat, Fischsuppe und vor allem Waffeln gab es (und hatten wir) alles. Leicht komatös hingen wir dann dort entspannt herum und genossen den Blick aufs Meer, das bei fast Windstille ein phantastisches Farbenspiel bot.

Es gab noch eine großartige Ausstellung, die sich Robert genauer ansah. Informativ dargestellt waren vor allem die Seeschlachten, in denen die deutschen Zerstörer Tirpitz und Scharnhorst versenkt wurden. Hervorragend aufgearbeitet und in sehr würdevoller Weise wurden diese bedauerlichen Abschnitte der Geschichte in Szene gesetzt und der Zuschauer daran erinnert, in welch einer großartigen Zeit wir heute eigentlich leben.

Diesen Abend jedenfalls verbrachten wir in absolut relaxter Atmosphäre. Die Akkus luden wieder auf deutlich über 100% und das Leben war einfach schön.
Etwa zwei Stunden nach uns traf noch eine weitere Gruppe Radler ein, angeführt von Eva, der energiegeladenen Wienerin. Sie hatte einen ähnlichen Plan wie wir, über Alta zurückzukehren. Ihre zwei Begleiter waren noch länger unterwegs und planten, über Finnland nach Frankreich und Deutschland zurückzukehren.

Wir fuhren dann gegen 22:00 Uhr nochmals etwa 30 km zurück zu unserer Camping-Unterkunft, wo wir eine sehr kurze Nacht verbrachten. Denn morgens um 04:45 Uhr ging bereits der Wecker. Das Schiff um 05:45 Uhr musste im zehn Kilometer entfernten Honningsvåg unbedingt erwischt werden. Wir hatten ja bereits die Tickets.
